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Belletristik

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Elsa Ungeheuer

 

Astrid Rosenfeld – Elsa Ungeheuer
Diogenes-Verlag
277 Seiten
ISBN: 978-3-257-06850-4
21,90€

Zur Autorin:
Astrid Rosenfeld wurde 1977 in Köln geboren. Sie arbeitete in diversen Jobs in der Filmbranche. Ihr Debütroman „Adams Erbe“ erschien im Jahre 2011 ebenfalls bei Diogenes. Die Autorin lebt heute in Berlin.

Zum Buch:
Ein kleines Dorf in der Oberpfalz. Hier leben der 8-jährige Karl und sein Bruder Lorenz, 13 Jahre alt, deren Mutter Selbstmord beging. „Für manche Menschen scheint die Erde einfach nicht der rechte Ort zu sein, und meine Mutter Hanna war so ein Mensch“ (S. 7). Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht von Karl. In dem kleinen Dorf ist nicht viel los und die Kinder spielen eigentlich immer draußen. Der Vater ertränkt seine Trauer in Wermut und überlässt die Kinder in der Obhut der „Kratzlerin“, die als Haushälterin in dem Haus lebt. Das Haus, ein „Fast-Hotel“, beherbergt nur einen einzigen Gast: Herrn Murmelstein, den alle nur Murmeltier nennen. Er ist der stille Held der Geschichte: liebevoll, ist er für die Kinder da, erzählt ihnen Gutenachtgeschichte, die eigentlich nicht für ihre Ohren bestimmt sein sollten und ist stets mit einer helfenden Hand oder mit einem Rat an ihrer Seite. Er ist Vater und großer Bruder zugleich.

Eines Tages kommt Elsa in das kleine beschauliche Dorf und wirbelt dort alles Durcheinander. Elsa ist 11 Jahre alt und eine gehörige Zicke. Widerborstig und garstig, doch manchmal auch nur verletzlich und Kind. Ihre Mutter lädt sie bei dem Onkel ab, um kurzerhand eine Weltreise mit ihrem neuen Freund zu unternehmen. Als Karl Elsa zum ersten mal zu Gesicht bekommt, ist es um ihn geschehen. Danach ist für ihn nichts mehr so, wie es war. Doch Elsa macht es ihm nicht leicht und stellt ihre Freundschaft immer wieder auf eine harte Probe, die Karl tapfer erduldet. Er liebt Elsa und ist ihr gleichzeitig hörig. Doch Karl will noch mehr: Er will, dass sein Bruder sich nicht immer mit Elsa streitet. Lorenz und Elsa sind wie Feuer und Wasser. Oftmals unternehmen sie zu dritt etwas und genauso oft, endet der Auflug im Streit zwischen den beiden. Bald gehört Elsa gänzlich dazu. Auch sie bekommt die Gutenachtgeschichten vom Murmeltier zu hören. In den wenigen Stunden, die Elsa mit ihren Freunden und dem Murmeltier zusammen ist, erfährt sie, was es heißt Freunde und Familie zu haben.

Doch das Kindheitsidyll bekommt Risse. Zunächst stirbt der Freund, das Murmeltier. Dann, eines Tages, Elsa ist bereits 15, verkündet sie, dass sie nach Texas und geht und dort den „Schweine-Willi“ heiratet, der dort mittlerweile Rinder züchtet. Ebenso schnell wie Elsa damals in Karls Leben trat, ist sie verschwunden und zurück bleibt nur ein kleiner Junge, der sein Herz an die Falsche verloren hat. „Man kann über die Liebe eines kleinen, dicken Jungen lachen. Aber man sollte nicht“ (S. 159).

Jahre später und durch Umwege, wird Lorenz zum gefeierten Star der Kunstszene. Er versucht in einem Mammut Experiment die Ewigkeit auf eine Leinwand zu bannen. Immer tiefer rutschen Karl und Lorenz in die Tiefen der Szene hinab. Sex, Drogen und Macht bestimmen ihren Alltag. Ich konnte mir zunächst schwer vorstellen, wie diese Kindheitserlebnisse übergehen in die heutige Kunstszene, in denen der zweite Teil des Romans spielt. Doch Astrid Rosenfeld spannt geradezu mühelos den Bogen, gerade so, als wäre eine andere Wendung nahezu lachhaft gewesen.

Als sich Karl jedoch eines Tages auf den Weg nach Texas macht, ahnt er nicht, dass diese neue Begegnung mit Elsa sein Innerstes erschüttern wird. „Sechsundzwanzig Jahre, drei Monate und neunzehn Tage alt. Unverändert und doch so anders. Elsa – vollkommen“ (S. 247).

Dieser Roman ist der Hammer. Ich habe ihn vor zwei Tagen beendet und er lässt mich noch immer nicht los. Die kleine Elsa, kratzbürstig und liebenswert hat mit ihren Krawattenbandagen mein Herz erobert. Sie ist die eigentliche Protagonistin und stellt selbst das Murmeltier in den Schatten. Doch auch der kleine Karl, den Elsa stets nur Fetti nennt, hat mich verzaubert. Er hat seine ganz eigene Sicht auf die Dinge, manchmal ein bisschen naiv, doch stets an das Gute glaubend. Dass er so in seinem Leben enttäuscht wird, hat mir sehr weh getan.

Mir ist eine Rezension noch nie so schwer gefallen, wenn mir ein Buch gut gefallen hat. Eigentlich merke ich auch gerade erst jetzt, beim Schreiben, wie SEHR es mir gefallen hat. Astrid Rosenfeld hat eine Art den Leser mit einfacher, poetischer Sprache in seinen Bann zu ziehen. Geradezu lebensklug erzählt Karl von seiner großen Liebe, von der er nie wieder loskam. Doch auch Lorenz hat einiges zu bieten und hat am Ende meine Sympathiepunkte deutlich erhöht, auch wenn ich seine Reaktionen nicht nachvollziehen kann.

„Ich sah Elsa mit einem Hund, der vielleicht ein Wolf war, und dem Murmeltier durch die Prärie wandern, gegen sprechende Rinder kämpfen und Mimosen pflücken. Es war, als hätte es dieses Mädchen nie gegeben, außer in meiner Phantasie. Sie war eine Märchengestalt, deren Geschichte längst geschrieben stand“ (S. 203).

Elsa ungeheuer ist für mich tatsächlich bis jetzt das Jahreshighlight 2013.

sanja

 

Lucy Clarke – Die Landkarte der Liebe
Piper-Verlag
351 Seiten
ISBN: 978-3-492-30085-8
9,99 €

Zur Autorin:
Lucy Clarke studierte in Cardiff und lebt jetzt in Bournemouth. Mit ihrem Mann, der ein professioneller Surfer ist, bereiste sie die schönsten Strände der Welt und war auch an allen Schauplätzen des Romans. Sie schreibt derzeit an ihrem zweiten Roman.

Zum Buch:
Völlig unvorbereitet trifft Katie der Schlag, als sie mitten in der Nacht Besuch von der Polizei bekommt und die Nachricht über den Tod ihrer Schwester erhält. Selbstmord soll es gewesen sein, doch Katie glaubt nicht daran, dass Mia so etwas tun würde. Völlig absurd ist es sogar, denn ihre Leiche wurde auf Bali gefunden und Mia wollte doch nach Australien. Nur allmählich kann Katie den Schock verarbeiten. Doch als sie Mias persönliche Sachen durchsucht, die sie von der Polizei erhält, findet sie ein meerblaues Reisetagebuch. Katie erhofft sich hier Antworten zu finden. Nach den ersten Seiten steht für sie jedoch fest, dass sie ihrer Schwester folgen muss. Sie muss an die Orte gehen, die Mia besucht hat, um mit ihren eigenen Augen zu sehen, was Mia sah, um zu fühlen, was Mia fühlte.

Erster Tagebucheintrag:
Die meisten Menschen verreisen aus zwei Gründen: Sie suchen etwas, oder sie fliehen vor etwas. Für mich gilt beides.
Seite 27

Meine Meinung:
Die Geschichte beginnt direkt mit dem traurigen Tod von Katies kleiner Schwester Mia. Die Handlung, die zu Anfang des Buches noch recht wirr erscheint, ergibt nach und nach einen Sinn. Wie bei einem Puzzle fügen sich immer mehr Teile zu einem großen Ganzen zusammen. Tragik, Emotionen, Verrat und Liebe vor der grandiosen Kulisse an den schönsten Stränden der Welt, sind die Zutaten, die hier, gut durchgemischt, zusammengefügt werden.

Das Buch hat mich vom ersten Augenblick in seinen Bann gezogen. Nicht nur das tolle Cover, dass zum Träumen einlädt, auch der Erzählstil und vor allem die Abfolge der Handlung, nahmen mich sofort ein. Ich bekam direkt Lust, eine Weltreise anzutreten. Man hätte die Geschichte auch ganz anders schreiben können, doch genau so, war es goldrichtig. Katie hat nicht direkt das ganze Tagebuch verschlungen, um schließlich bei Mias letztem Eintrag zu landen, sondern sie hat immer erst den Eintrag gelesen, wenn sie zuvor an den jeweiligen Ort gereist ist.

Katie reist also ihrer kleinen Schwester hinterher, um verstehen zu können. Verstehen, wie es dazu kam, dass Mia ihre Route verlassen hat und wie Mia abgestürzt ist. Katies Verlobter versteht dies nicht, steht doch ihre gemeinsame Hochzeit in ein paar Monaten bevor. Doch Katie muss ihren Weg gehen und verfolgt Mias Spuren nach und nach bis auf die Insel Bali. Kapitelweise kommen Erinnerungen an vergangene Tage in ihr hoch und lösen am Ende eine ganze Reihe von Rätseln auf.

Vor allem die völlig unterschiedlichen Protagonisten Katie und Mia machen das Buch zu dem was es ist. Katie, immer gut durchorganisiert, nimmt ihre Schwester nach dem Tod ihrer Mutter bei sich auf. Sie versucht Mia einen geregelten Tagesablauf zu ermöglichen. Sie hilft ihr immer wieder Jobs zu finden, doch Mia ist das genaue Gegenteil ihrer großen Schwester und fühlt sich in der Stadt auch nicht wohl. Sie braucht das Meer und ihre Freiheit und so bucht sie mit ihrem besten Freund urplötzlich eine Around-the-World-Reise und lässt Katie alleine zurück. Im Verlauf der weiteren Handlung wandelt sich Katie jedoch total und sie erkennt, dass sie ihrer chaotischen Schwester ähnlicher ist, als sie glaubte.

Auch wenn man das Ende schon kennt und weiß, dass es kein Happy-End geben wird, ist es dennoch ein wahres Highlight. Am Ende hatte ich einfach ein verdammt gutes Gefühl und das Buch liess mich mit einem wohligen kribbeln und dem Hauch von Freiheit, Abenteuerlust und Liebe, die alles verzeihen kann, zurück. Das Buch ist ein ganz besonderes Juwel!

Mein einziger Kritikpunkt: Der deutsche Titel! Er klingt so kitschig, dass ich das Buch wahrscheinlich niemals gekauft hätte und das wäre wirklich schade gewesen!

sanja

 

 

 

 

Sarah Waters – Der Besucher
Lübbe
19,99 €

Zur Autorin:
Sarah Waters wurde 1966 in Wales geboren. Sie hat in englischer Literatur promoviert und zahlreiche Artikel in Kultur- und Literaturzeitschriften veröffentlicht. 1998 erhielt sie den New London Writers Award des London Arts Board. Buchveröffentlichungen, Auszeichnung mit dem Times Young Novelist of the Year Award und den Somerset Maugham Award.

Zum Inhalt:
Hundreds Hall, ein majestätisches Anwesen im ländlichen England. Hier wohnt die verwitwete Mrs. Ayres mit ihren erwachsenen Kindern Caroline und Roderick. Als der Landarzt Dr. Faraday wegen eines Notfalls herbeigerufen wird, ist er wie gebannt von der geheimnisvollen Atmosphäre des Hauses. Schon bald erfährt er, dass in Hundreds Hall merkwürdige Dinge geschehen: Möbelstücke, die ein Eigenleben führen, kryptische Zeichen, die plötzlich an den Wänden auftauchen, bedrohliche Geräusche, die unerklärbar scheinen. Dr. Faraday begegnet der wachsenden Panik der Familie zunächst mit Ruhe und Beschwichtigung. Doch das Schicksal der Ayres nimmt unaufhaltsam seinen Lauf – und ist enger mit seinem eigenen verwoben, als er ahnt …

Erster Satz:
Ich sah Hundreds Hall zum ersten mal im Alter von zehn Jahren, in dem Sommer nach Kriegsende.

Sarah Waters Roman entführt uns ins England der Nachkriegszeit. Die Menschen tragen noch schwer an den Schatten der Vergangenheit und können sich nur mühsam wieder ihr Leben einfinden. Zu Ihnen zählt die Familie Ayres: Mrs. Ayres, Witwe und Dame vom „alten Schlag“, Ihre Tochter Caroline und ihr Sohn Roderick, der die Familienangelegenheit als Oberhaupt ganz allein schultern will. Mrs. Ayres schwelgt gerne in der Vergangeheit und kann sich mit dem neuen, nicht mehr ganz so extravaganten Leben nur schwer abfinden. Caroline ist of betrübt und Roderick mit der fianziellen Angelegenheit überfordert. Auf allen lastet der Schatten dieses Hauses.

Eines Tages wird Dr. Faraday auf das Anwesen gerufen, um einen Notfall zu behandeln. Sofort ist er Feuer und Flamme für das Haus und freundet sich nach einiger Zeit mit den Ayres an. Doch schon bald fängt das Haus an, ein Eigenleben zu entwickeln. Dr. Faraday – ganz der Wissenschaftler – versucht nach einer natürlichen Ursache zu suchen, doch auch er kann das Schlimmste nicht verhindern…

Sarah Waters versteht es den Leser in ihren Bann zu ziehen. Die Geschichte ist atmosphärisch dicht und fesselt den Leser bis zur letzten Seite. Einige Passagen schleppen sich zwar etwas dahin, aber darüber kann man getrost hinwegsehen, da einfach das Gesamtpaket stimmt. Die Autorin versteht es, den Leser stets auf eine falsche Fährte zu locken und bis zuletzt lässt sie uns rätseln, was hinter alledem stecken mag.

Die düstere Atmosphäre im Haus ist regelrecht spürbar und die Beschreibungen und Vorkommnisse lassen das viktorianische Zeitalter wieder auferstehen. Man fühlt sich mittendrin gefangen in diesem Schauerroman und wandelt auf den Spuren derer, die versuchen dem Haus und seinem Fluch zu trotzen und ihrem Schicksal zu entfliehen.

Abgerundet wird dieser wundervolle Schauerroman durch die kreative Ausstattung. Selbst ohne Einband kann sich dieses Buch sehen lassen und macht mit den abgewetzten Tapeten auf dem Deckel eine gute Figur.

Für mich ein wahres Highlight und ein Leckerbissen der besonderen Art.

Von mir gibt es die volle Punktzahl = 10 von 10!